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CTH 9.6

Citatio: (ed.), hethiter.net/: CTH 9.6 (INTR 2012-07-10)

Königserlass (Mursili I?) (CTH 9.6)

Textüberlieferung

Exemplar

Edition

Inventarnummer

Fundort

A

KBo 3.28

Bo 2556

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Zweikolumnige Tafel, von der nur ein Teil von Vs. Kol. II (28 ZZ.) erhalten ist. Spuren von zum rechten Ende von Kol. I gehörenden Zeichen sind noch am linken Tafelrand zu sehen. Von der Rs. bleiben ebenso nur wenige Spuren.

Editionsgeschichte

Der nur in einer jh. Kopie belegte Text KBo 3.28 wurde schon als 2.BoTU 10γ von E. Forrer in Transliteration vorgelegt.

Eine partielle Edition ist in Soysal O. 1989b (Transliteration: S. 31ff.; Übersetzung: S. 90f.) enthalten .

Seine ursprüngliche Einordnung unter CTH 9 „Fragmente von Palastchronik“ (wie auch im Falle von KBo 3.33 = 2.BoTU 10β) basiert auf dem Vorhandensein verschiedener Passagen erzählerischen Charakters, die sehr der Struktur der Episoden der Palastchronik (CTH 8) ähneln und eine paradigmatische Funktion in der auf die Vergangenheit bezogene Fundierung der königlichen Rechtsprechung annehmen.1

Manche Textstellen sind in verschiedenen Beiträgen behandelt worden. Hier sei verwiesen auf:

Neue Transliteration, epigraphischen und literarischen Kommentar (hauptsächlich in Bezug auf die im Text mehrmals erwähnte Ordalpraxis) bietet jetzt Marazzi M. 2010a.

Inhaltsübersicht

§ 1

Z.1’-9’

Der Anfang ist verloren und der erhaltene Kontext ist sehr lückenhaft. Hauptthema ist die Erzählung der mit der Revolte des Prinzen von Purušhanda verbundene Ereignisse. Die Götter unterstützen jedoch den Hethiterkönig und liefern ihm den aufständischen Prinz aus, dessen Familie gegenüber der König Gnade erweist.

§ 2

Z. 10’-16’

Zukünftige dispositive Strafprozeduren für die Angehörigen der Königsfamilie, die sich der Person des Königs gegenüber untreu verhalten, zusammen mit (an den Kronprinz in 2. Pers. Sing. gerichteter?) ethischer und politischer Lehre.

§ 3

Z. 17’-19’

Erwähnung der in der Vergangenheit (zur Zeit des „Vaters des Königs“) vom König gegen die sich als untreu erwiesenen Hofbeamten festgelegten Strafen: Paradigmatische Erzählung des mit Kizzuwa verbundenen Ereignisses.

§ 4

Z. 20’-22’

Zurück zur Gegenwart mit neuen Drohungen gegen diejenigen, die das „Wort“ des Königs „zerbrechen“, und erneuter (?) Bezug auf die mit der Königin aus Hurma verbundenen (und höchstwahrscheinlich schon im ersten Teil des Erlasses behandelten) Ereignissen.2 ␣␣␣

§ 5

Z. 23’-27’

Sehr lückenhaft: Mögliche Fortsetzung des Falles der Königin aus Hurma.

§ 6

Z. 28’

Nur wenige Zeichenspuren.

Literarische und redaktionelle Eigenschaften

Der Text, obwohl sehr lückenhaft und nur partiell erhalten, erweist sich mit Sicherheit als Königserlass. Anekdotische (auf eine nähere Vergangenheit, in der der König als juristische Autorität vorkommt, oder auf eine fernere, in der ein „Vater des Königs“ handelt, chronologisch bezogen) kurze Erzählungen alternieren mit Textpartien mit dispositivem Charakter (kinun=a ... Z. 10’ und 20’).

Anlass und Hauptgegenstand des Erlasses scheint die Festlegung der Strafprozeduren im Falle untreuen Verhaltens der Person des Königs gegenüber (A-NA SAG.DU LUGAL wašta-/wašt-) von Angehörigen der königlichen Familie oder des königlichen Hofes zu sein. Die vorgesehenen Strafprozeduren sind (je nach betroffener Kategorie) mit verschiedenen (?) Ordalformen verbunden.

Die von der königlichen Rede getroffenen Gesprächspartner werden jeweils in der 2. Pers. Sing. Imp./Ind. (Z. 10’: apaš halzāi, Z. 12’-13’ : genzuwaši, kappūeši, kapūi , höchstwahrscheinlich der designierte Thronfolger) und in der 2. Pers. Pl. Imp./Ind. (Z. 21’: šarrattuma, im Allgemeinen die Mitglieder des Hofes) angesprochen.

Wenn die von Soysal O. 1989b Anfang Z. 2' vorgeschlagene Ergänzung ⌈GIŠAB-az⌉ angenommen wird, könnte der Topos des „Blicks aus dem Fenster“ (worüber Christiansen B. 2007a) auch in diesem Falle zur literarischen Charakterisierung der anekdotischen Erzählung gelten.

Die literarische Gestaltung und die behandelten Themen weisen auf eine historische Datierung des Erlasses in die Zeit der ersten hethitischen Könige (Muršili I. ?; darüber Soysal O. 1989b, Martino S. de 1989b).

Die in hethitischer Sprache und jh. Schrift verfasste Redaktion zeigt, dass der hethitische Schreiber Schwierigkeiten sowohl im Lesen als auch im Verstehen des zu kopierenden Exemplars gehabt haben muss. Abgesehen von den beim Abschreiben geläufigen Fehlern (wie na-at<-ta> und hu-e-<>-nu-ú-ut, Z. 19’), bezeugen die in Z.12' und 17'-18' vorhandenen Unklarheiten bzw. Missverständnisse, dass der Kopist sein Exemplar in manchen Partien nicht mehr verstanden hat (oder verstehen konnte ?).3

Ordalprozeduren: Juristischer und philologischer Kommentar

Die Ordalprozeduren werden in folgenden Zusammenhängen erwähnt:

- § 2' (der sich direkt auf die in § 1' erwähnte Affäre des Prinzen von Purušhanda bezieht) anlässlich der dispositiven Strafprozeduren gegen die der Person des Königs gegenüber untreuen Angehörigen der königlichen Familie (Z. 10': mān DUMU- ANA SAG.DU LUGAL úwaštai kuitki):

- § 3' als Paradigma der z.Z. des Vaters des Königs geläufigen Praxis angesichts der der Person des Königs gegenüber untreuen Untertanen (Episode des Kizzuwa).

Sie stellen jedoch verschiedene interpretatorische Probleme dar:

a. Die korrekte Lesung von “dÍD(-)ja-x mi-im-ma-i”, in § 2', Z. 12', und die Erklärung der ursprünglichen semantischen Bedeutung der Verbalform mimmai, die von der in den Ordalprozeduren geläufigen Formel (mān ... parkuešzi / mān paprašzi) abweicht.

b. Die richtige Lesung von haršanī, in § 3', Z. 17', höchstwahrscheinlich (wie schon in Riemschneider K.K. 1977a festgelegt und in Frymer-Kensky T. 1979a, S.235ff. bestätigt wurde) in der ursprünglichen (akkadischen ?) Fassung des Dokuments als HURŠAN zu verstehen, d.h. die geläufige mesopotamische Bezeichnung für die Praxis eines spezifischen Flussordals (nämlich durch Untertauchen im Flusswasser).

Wird HURŠAN tatsächlich in Z. 17' und dementsprechend auch in Z. 18' (anstelle von ANA SAG) eingesetzt, dann bekommt der gesamte Paragraph einen klaren Sinn:

„... anlässlich der von meinem Vater verordneten Flussordalprozeduren haben sich viele Personen als schuldig erwiesen, … ebenso erwies sich beim von meinem Vater verordneten Flußordal Kizzuwa als schuldig ...“

Anders als die in § 3' vorhandene dispositive Ordalpraxis, bezieht sich diejenige von § 2' ausdrücklich auf die Angehörigen der Königsfamilie (Z. 10’: kinun=a mān DUMU-). Entscheidend für das Verständnis der hier infrage kommenden Prozedur ist die Interpretation von Z. 12'. Hier erlauben die vorhandenen Zeichen(spuren) zwei verschiedene Lesungen:

Die Erste wäre ták-ku dÍDya-rami-im-ma-i („wenn das yara des Flussgottes ablehnt/erbricht“), wobei sowohl die Lectio yara, als auch die Semantik der Verbalform mimma- nicht problemlos sind4.

Ein Spezialtrank yara/iyara ist in der Tat in einer Episode der Palastchronik belegt (KBo 3.34 Vs. II, Z. 33ff.):5

„... wer (das Ziel) trifft, ihm gibt man Wein (zum Trinken), und sie sind [die Sol]daten des Königs; wer aber (das Ziel) nicht trifft, ihm gibt man eine Schale iyara (zum Trinken) , und nackt muss er [über]all 'umherlaufen' ...“.6

Wenn also mimmai die Bedeutung „verwerfen“ im Sinne von „erbrechen/sich weigern zu verinnerlichen“ zukommt, und dies als Zeichen der Schuldhaftigkeit (d.h. als Pendant zur Formel mān paprašzi) angenommen wird, dann hätten wir hier (dem Flussordal von § 3' gegenüber) das Beispiel eines kanonischen Trinkordals. Zu bemerken wäre noch bei dieser Gelegenheit die gnädige Haltung des Königs den Schuldigen gegenüber.

Im Gegenteil zu dieser lectio difficilior, könnte man dÍD mit den darauffolgenden (jedoch von dÍD räumlich klar getrennten) zwei Zeichen als einheitliche Sequenz auffassen und dÍD-ja-ma! (mit Emendation des vierten Zeichens) lesen (wie in CHD s.v. mimma-, und sowohl von Laroche als auch von Soysal vorgeschlagen). Dementsprechend wäre die Bedeutung von mimmai einfach „sich weigern/verwerfen/ablehnen“, und der Paragraph würde sich nur auf die Gelegenheit beziehen, dass der zum Flussordal einberufene DUMU entweder davon rein auskommt, oder einfach sich weigert und der Gnade des Königs überlassen wird.7

1

Darüber schon Schuler E. von 1959b; zuletzt Marazzi M. 1997b, Marazzi M. 2002d und Marazzi M. 2007a.

2

Anlass zur Verkündung des Erlasses könnte in der Tat die Auseinandersetzung zwischen dem König und der hurmäischen Braut gewesen sein.

3

Das Problem betrifft die Sprache, in der das Exemplar, aus dem der jh. Schreiber kopiert hat, verfasst war. Angesichts der neuen chronologischen Einordnungsvorschläge bez. der ersten in hethitischer Sprache und Schrift verfassten Texte (worüber s. Wilhelm G. 2005g, Popko M. 2007c, Hout Th.P.J. van den 2009a und Hout Th.P.J. van den 2009b), stellt sich die Frage, ob die missverstandenen Stellen schon in einem hethitisch verfassten Exemplar vorhanden waren, aus dem unser Schreiber dann kopiert hat, oder ob vor dem Kopisten noch ein in akkadischer Sprache verfasstes ah.Original vorlag, aus dem er nicht einfach kopieren, sondern ins Hethitische übertragen sollte.

4

Zur Bedeutung von mimma- in diesem Kontext s. schon Frymer-Kensky T. 1979a, S. 238f.; die Lesung yara und die Interpretation als Spezialtrank zum Hinunterschlucken wurden schon in Bin-Nun S.R. 1973a, S. 7 und Anm. 18 vorgeschlagen.

5

Diese Textstelle ist gerade in Bezug auf die Anwesenheit von iyara verschiedenartig interpretiert worden (s. zuletzt Dardano P. 1997a, S. 110ff., die der Emendation von E. Neu entsprechend i-ya-al transliteriert, und Beal R.H. 1992a, S. 536 und 554f., der die Lesung i-ya-ra bevorzugt). Ein Vergleich des Fotos mit der schon damals von E. Forrer am Rande von 2 .BoTU 10β (Nr. 3) angegebenen Skizze macht die Emendation i-ya-AL unnötig.

6

Vs. I 34 ... ku-iš na-at-ta-ma ha-az-zi-iz-zi nu-uš-še i-ya-ra GAL-ri pí-an-zi Vs. I 35 [ku?-wa?]-at-ta-an ni-ku-ma-an-za ú-wa-a-tar pí-it-ta-iz-zi. Der hier mit „umlaufen“ wiedergegebene hethitische Ausdruck uwatar pittaizzi (wörtlich „die Besichtigung/Truppenschau laufen“) könnte jedoch auch als „das Wasser bringen“ übersetzt werden, wobei pittaizzi auf pittae- „bringen“ und uwatar auf watar „Wasser“ zu beziehen wären (darüber s. zuletzt die Diskussion in EDHIL (Kloekhorst A. 2008a), s.v. pattai-i/ patti-).

7

Wobei das gnädige Verhalten des Königs auch wegen des Fehlens eines göttlichen Urteils verstanden werden darf. Für eine ausführliche Diskussion darüber s. noch Marazzi M. 2010a.


Editio ultima: 2012-07-10






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